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Mundgeruch

Man muss sich riechen können; so heißt es nicht umsonst. Wenn ich einen Menschen vor mir habe, dann kann ich ihn nur dann lieben, wenn ich ihn mit all meinen fünf Sinnen auch wirklich begehren kann.

Und zu diesen fünf Sinnen gehört nun einmal auch der Geruchssinn. Der lässt sich sogar noch weniger überzeugen, überreden, übertölpeln als jeder andere der Sinne, mit denen wir einen Menschen wahrnehmen. Wenn der Geruchssinn sich abwendet, dann ist einfach nichts mehr zu machen.

Wenn der Geruchssinn nein zu einem anderen Menschen sagt, dann kann ich nicht mit dem anderen ins Bett steigen.

Wie wahr dieser Spruch ist, dass man einen anderen Menschen auch wirklich gut riechen können muss, wie wichtig es ist, dass er für meine Nase gut riecht, das musste ich gerade hautnah erfahren.

Es war eine ziemlich bittere Erfahrung.

Für mich war es weit mehr als einfach nur eine kleine Enttäuschung, dass daran alles gescheitert ist. Und wie bitter die Erfahrung erst für denjenigen sein muss, der nun nicht mein Partner geworden ist, weil mein Geruchssinn nein zu ihm gesagt hat, das kann ich mir gut vorstellen.

Ich weiß es nicht sicher, denn wir haben seitdem keinerlei Kontakt mehr miteinander; er war zu sauer nach meiner Reaktion und wollte – ich verstehe das gut – nichts mehr von mir wissen.

Aber ich kann es nun einmal nicht ändern.

Das sind die Nachteile, wenn man auch über das Internet private erotische Kontakte knüpfen kann.

Man kann den anderen sehen und zumindest einigermaßen einen zutreffenden optischen Eindruck von ihm bekommen, denn man kann ja Bilder über das Netz verschicken, sogar kleine Videos.

Vielleicht sagt ein einzelnes Pic da nicht viel aus – aber spätestens wenn man mehrere Bilder von ihm hat, darunter auch zufällige Schnappschüsse, ungeschönte, ungeschminkte Bilder, die nicht gestellt sind, dann hat man schon einen Eindruck. Erst recht bei einem kleinen privaten Video.

Meine Augen waren auch nicht enttäuscht von ihm, als wir uns das erste Mal gesehen haben; im Gegenteil, die waren recht angetan von seinem Äußeren; Gesicht, Körper und auch die Kleidung.

Mein Gehör kannte seine Stimme von vielen endlosen Telefonaten, und auch insofern erwartete mich weder eine Überraschung, noch eine Enttäuschung. Ein wenig anders ist es, jemanden live zu hören statt nur am Telefon, aber die Unterschiede sind wirklich nicht gravierend.

Damit bestand in Zusammenhang mit zweien meiner Sinne überhaupt kein Problem, was ihn betrifft.

Der Tastsinn, den konnte ich nicht allzu lange seine Empfindungen testen lassen, weil eben der Geruchssinn dazwischengefunkt hat, aber was ich dabei erlebte, das gefiel mir durchaus, das machte mich sogar an. Es war geil, ihn zu streicheln, seine Erregung dabei zu spüren ebenso wie meine eigene. Damit hätte ich ja nur zu gerne weitergemacht, wenn … Ja, wenn nicht …

Okay, und dann bleibt von den fünf Sinnen bloß noch der Geschmackssinn. Wie der auf ihn reagiert hätte, das weiß ich nicht; dazu das auszuprobieren, sind wir dann nicht mehr gekommen.

Ich vermute allerdings, das hätte, wenn für meine Nase alles in Ordnung gewesen wäre, auch keine Probleme gemacht. Irgendwie hängen Geruch und Geschmack ja anscheinend ein bisschen zusammen.

Passt es mit dem einen, dann passt es im Zweifel auch mit dem anderen. Beim Essen – und bei anderen Menschen.

Dann reicht es auch gleich für einen Blowjob mit Sperma schlucken – das ist nämlich der absolut ultimative Test für den Geschmackssinn der Frauen in Liebesdingen, das Blasen und Schlucken.

Trotzdem – wenn man sich virtuell kennenlernt, gibt es so viele Möglichkeiten, wo die Gefahren lauern können, wenn dann erste reale Treffen bevorstehen. Lediglich den Sehsinn und, wenn man miteinander telefoniert, das Gehör, das kann man vorher abtesten; alles andere nicht.

Und selbst da kann über Internet und Telefon ein völlig falscher Eindruck entstehen, denn Technik verzerrt.

Aber sogar wenn man einmal davon ausgeht, das klappt alles, dann bleiben eben immer noch drei unerprobte Sinne, die beim ersten Live Date ihr Urteil abgeben – Geruchssinn, Tastsinn, Geschmackssinn -, und jedes dieser drei Urteile kann eben auch ganz unerwartet negativ ausfallen.

Aber vielleicht sollte ich jetzt erst einmal erzählen, was überhaupt passiert ist. Wie ihr sicher längst erraten habt, geht es um einen Kontakt aus einem privaten Kontaktmarkt, einer Singlebörse.

Da hatte ich Peter kennengelernt, und wir haben uns auf Anhieb per Mail und Chat super verstanden.

Wir lagen in so vielen Dingen auf einer Wellenlänge, wir verstanden uns prima, wir konnten miteinander über alles reden, wir konnten sogar vom ersten Mail an richtig miteinander flirten und weckten damit prompt die Schmetterlinge im Bauch des anderen. Kurz – es hatte richtig gefunkt zwischen uns.

Es war eine heiße, stürmische Affäre.

Schon drei Tage, nachdem wir in der Singlebörse den ersten Kontakt miteinander hatten, gab es unseren ersten Cybersex im Sexchat. Ich hatte vorher noch nie erotisch gechattet und hatte sogar ein wenig Bammel davor; aber er nahm mir meine Angst und machte es mir alles ganz leicht.

Es war nicht schlimm, es war nicht peinlich, sondern es war einfach nur tierisch geil, miteinander zu chatten. Sich dabei gegenseitig immer mehr einzuheizen und es sich dabei zu besorgen …

Ich war hin und weg.

Ich war richtig verliebt in Peter, ich musste ständig an ihn denken, ich war dauernd feucht und sehnte mich nach ihm.

Und nachdem der Cybersex mit jedem Besuch im Sexchat besser, intimer, aufregender, prickelnder wurde, wuchs auch mein Wunsch, ihn bald, sehr bald live und real treffen zu können.

Leider befanden sich etwa 500 Kilometer zwischen unseren beiden Wohnorten. Mal eben so abends rüberfahren für einen Besuch, ein erstes unverbindliches Kennenlernen bei einem Kaffee, war da einfach nicht drin. Das konnte ich ihm nicht zumuten, so lange zu fahren, nur um dann irgendwo in einem öffentlichen Lokal einen Kaffee zu trinken, damit wir uns mal real gesehen hatten, um dann nach einer Stunde oder so gleich wieder 500 Kilometer nach Hause zurück zu fahren.

Darüber hinaus hielt ich es inzwischen für absolut überflüssig, dass wir uns zuerst einmal irgendwo ganz unverbindlich trafen. Ich war mir absolut sicher, das würde klappen zwischen uns.

Und wenn er sich dann schon ins Auto setzte und mich besuchte, dann bitte doch gleich für länger und für andere Zwecke als ein simples Kaffeetrinken; wenn dann gleich für einen längeren Besuch.

Etwa fünf Wochen, nachdem wir uns in der Singlebörse kennengelernt hatten, war es dann endlich so weit.

Er hatte zwei Tage Urlaub bekommen, und ich konnte meinen Chef zwar nicht überreden, mir ganz frei zu geben, aber ich hatte mit einer Kollegin getauscht, so dass ich von den zwei Tagen nur einen halben arbeiten musste.

Außerdem hatten wir anschließend ja noch das Wochenende; schon am Mittwoch Abend, allerdings recht spät nach der langen fahrt, wollte er kommen und dann bis Sonntag am späten Nachmittag bleiben.

Fast vier volle Tage sollten wir also für uns haben, und ich freute mich riesig darauf. Nein, das ist zu wenig gesagt – ich war selig. Ich war verliebt, ich war aufgeregt, ich war glücklich, ich war erwartungsfroh.

Und ich starb beinahe vor Ungeduld.

Dann war es endlich so weit; der Mittwoch Abend kam heran. Nervös und zitternd saß ich in meiner Wohnung und wartete. Das Warten war die Hölle, aber eine Hölle, die durch die Aussicht auf das Paradies erträglich gemacht wurde.

Dann klingelte es, endlich, endlich, ich stürzte zur Tür, und vor der stand Peter, die Reisetasche in der Hand.

Wir fielen einander in die Arme.

Und mir schlug umgehend ein derartiger Mundgeruch entgegen, dass es mir beinahe übel wurde.

Ich konnte ihn einfach nicht küssen, ich konnte ihn nicht ertragen. Nicht jetzt, und erst recht nicht für vier ganze Tage.

Ich konnte ihn einfach nicht riechen.

Und deshalb habe ich ihn am nächsten Morgen gleich wieder nach Hause geschickt. Selbst in der Nacht ist nichts passiert, nachdem ich ihm sehr mühsam erklärte, dass es real einfach nicht passen würde, dass live nichts von dem da wäre, was unsere Chats und Telefonate beherrscht hatte.

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